Collage Titelbild: © Anna Lach-Serediuk Kolażanki
Schwesterlichkeit ist heute etwas aus der Mode gekommen. Dabei kann sie uns helfen, Konkurrenzdenken zu überwinden und als Gruppe ins Handeln zu kommen. Wie das aussehen kann, was sie verhindert und wie wir sie unseren Töchtern vermitteln können, erzählt die Autorin und Journalistin Julia Korbik, die darüber ein Buch geschrieben hat.
Julia, du forderst radikale Schwesterlichkeit. Warum?
Frauen werden oft gegeneinander ausgespielt. Häufig ist die Rede von Zickenkrieg oder von Stutenbissigkeit. Bei Männern gilt Konkurrenz als etwas Sportliches, fast Gesundes. Bei Frauen geht es immer sofort an die Persönlichkeit. Männern wird eher beigebracht, dass sie sich streiten und am Ende trotzdem zusammen ein Bier trinken können. Frauen werden direkt zu Feindinnen. Wir sehen das auch in Geschichten oder in Filmen. Deshalb finde ich radikale Schwesterlichkeit wichtig, weil sie Beziehungen zwischen Frauen fördert und sich gegen dieses Narrativ stellt, dass Frauen nur konkurrieren.
Warum haben Frauen so grosse Schwierigkeiten damit, «wir» zu sagen?
Ich denke da an Simone de Beauvoir, die schreibt, dass Frauen sich nicht als Gruppe empfinden. Das hat mit Sozialisierung zu tun und damit, dass Frauen sich weniger als Teil von etwas Grösserem begreifen. Wenn Frauen sich zusammengeschlossen haben – und ich meine das nicht nur im feministischen Sinne –, dann wurde das oft komplett lächerlich gemacht. Es könnte auch damit zusammenhängen, dass das Frausein an sich lange abgewertet wurde und viele Frauen sich deshalb nicht überidentifizieren wollen. Sie wollen lieber ein Individuum sein als über ein bestimmtes Geschlecht definiert zu werden. Vor allem, wenn es immer als das schwache oder minderwertige Geschlecht dargestellt wird.
Julia Korbik ist freie Journalistin und Autorin in Berlin. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik und Popkultur aus feministischer Sicht.
Wie lässt sich das auf Mütter übertragen, die gerade während der Baby- und Kleinkindjahre oft mit dieser Vereinzelung und teilweise auch mit harscher Kritik konfrontiert sind?
Ich habe selbst keine Kinder, aber viele meiner Freundinnen haben Kinder und berichten davon. Es ist interessant, dass Kritik von aussen dann meistens von anderen Frauen kommt. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Mutterrolle immer noch so wahnsinnig überhöht wird. Viele Frauen haben das Gefühl, dieses Ideal nie erreichen zu können, versuchen es aber natürlich trotzdem. Das führt zu Verunsicherung. Dann kann es leichter sein, andere Frauen zu kritisieren, anstatt auf die eigenen Unsicherheiten zu schauen oder sich damit auseinanderzusetzen. Und natürlich hängt das auch mit dem Phänomen des Girl Hate zusammen, weil wir verinnerlicht haben, andere Frauen als Konkurrenz wahrzunehmen.
Was können Mütter tun, um ihren Töchtern Schwesterlichkeit statt Konkurrenzdenken zu vermitteln?
Ganz wichtig finde ich, dass Mütter auch Vorbilder sind. Das ist natürlich kompliziert, weil Mütter schon so vieles tun. Aber natürlich schauen sich Töchter viel von ihren Müttern ab. Ich denke da an eine Freundin meiner Mutter. Sie hatte ein ganzes Netzwerk an anderen Müttern, die sich immer damit abgewechselt haben, die Kinder von der Schule abzuholen oder für die Kinder zu kochen. Sich gegenseitig zu unterstützen kann für die Töchter ein Vorbild sein. Und natürlich spielen auch die Medien eine Rolle. Es ist wichtig, mit den Kindern darüber zu sprechen, was sie auf Social Media, in Filmen oder Magazinen vermittelt bekommen.
Nun gibt es auch den Begriff der Brüderlichkeit, der davon ausgeht, dass alle Menschen gleichwertig und Frauen mitgemeint sind. Warum braucht es jetzt den Begriff der Schwesterlichkeit?
Brüderlichkeit ist stark verbunden mit der Idee, eine Nation und ein nationales Identitätsgefühl zu schaffen. Frauen waren davon ausgeschlossen. Sie waren einfach keine gleichberechtigten Bürgerinnen und dementsprechend hat man sie im damaligen Kontext natürlich nicht mitgemeint. Da finde ich es immer ein bisschen frech, wenn es heute heisst, dass sie sich doch bitte angesprochen fühlen sollen, obwohl es ein eindeutig männlicher Begriff ist. In Frankreich gibt es den Begriff der Geschwisterlichkeit. Das finde ich schön, weil dann einfach nochmal mehr Menschen mitgemeint sind. Insgesamt aber müssen wir Schwesterlichkeit als Begriff neu besetzen. Für viele ist er etwas altbacken und sie denken dann an Feministinnen, die sich an den Händen fassen und sich als Frau erleben. Schwesterlichkeit ist viel mehr als das. Und dazu gehören nicht nur biologische Frauen. Es geht darum, als Gruppe etwas gemeinsam zu schaffen.
Wenn Frauen in Führungspositionen sitzen, haben sie besonders häufig mit dem Image der Stutenbissigkeit zu kämpfen. Warum gerade dort?
Frauen wird seit ihrer Kindheit vermittelt, dass es eigentlich nicht genug Platz für alle gibt. Wenn Frauen es an die Spitze schaffen, müssen sie sich an das oft sehr männliche Arbeitsklima anpassen. Studien zeigen, dass es nicht reicht, wenn eine Frau an der Spitze sitzt, um daran etwas zu ändern. Es braucht auf allen Ebenen mehr Frauen. Die Gesamtlösung ist dann, dass die Arbeitswelt weniger männlich werden muss. Das heisst, dass sie auf die Bedürfnisse von verschiedenen Menschen eingeht und nicht alles danach ausgerichtet ist, welche Bedürfnisse Männer haben. Vieles ändert sich bereits, wenn es zum Beispiel um Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Aber natürlich wird eine Frau in einer Führungsposition noch immer härter bewertet als ein Mann, gerade wenn sie Kinder hat.
Welche Lösungen kann Schwesterlichkeit da bieten?
Es kann Menschen dazu bringen, sich mehr mit ihrer eigenen Sozialisierung auseinanderzusetzen und damit, wie sie anderen Frauen begegnen. Es kann zum Beispiel eine bewusste Wahl sein, wie man anderen Frauen gegenübertritt. Vor einigen Jahren habe ich in einer männlichen Redaktion gearbeitet. Eines Tages kam eine Frau dazu. Als sie durch die Tür kam, habe ich sofort beschlossen, mich mit ihr anzufreunden. Das war eine bewusste Entscheidung. Und ich finde, dass das jede von uns tun kann: anderen Frauen nicht sofort mit Misstrauen zu begegnen und sie erstmal nicht als Konkurrenz zu begreifen. Das ist für viele schwierig, weil wir damit aufwachsen, uns ständig zu vergleichen.
Ist das nicht ein bisschen idealistisch?
Schwesterlichkeit ist kompliziert und komplex, weil es am Ende nicht diese eine schöne Lösung gibt im Sinne von: Wir haben uns alle lieb und alle unsere Probleme haben sich in Luft aufgelöst. Schwesterlichkeit bedeutet auch nicht, andere Frauen kritiklos gut zu finden. In Frankreich gibt es eine Aktivistin und Autorin, AliceCoffin, die schrieb, dass Schwesterlichkeit für sie bedeutet, in der Öffentlichkeit stehende Frauen nicht zu kritisieren. Ihr Gedanke dabei ist sicher, dass sie sowieso schon stark kritisiert werden, vor allem von Männern. Per se keine Kritik zu üben, hat für mich aber nichts mit Schwesterlichkeit zu tun. Schwesterlichkeit bedeutet, sich kritisch damit auseinanderzusetzen, wie man sich zu anderen Frauen verhält und welche Prägung da vielleicht eine Rolle spielt.Sie ist aber auch eine politische Kraft. Ich bin davon überzeugt, dass viel Positives entstehen kann, wenn Frauen sich zusammenschliessen.
BUCHEMPFEHLUNGEN:
Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs.
Sisterhood ist powerful! Die Erkundung eines politischen Prinzips: Ob #MeToo oder die Proteste im Iran: In den letzten Jahren gab es zahlreiche Anlässe, bei denen Frauen füreinander eintraten. Ein Prinzip, das schon die Feminist:innen der 1970er Jahre propagierten. Aber was bedeutet das überhaupt: Schwesterlichkeit als Prinzip? Julia Korbik setzt sich in diesem Buch damit auseinander, will verstehen, wie sie aussehen kann – und was sie verhindert.
How to be a girl: stark, frei und ganz du selbst
Ein Ratgeber für Mädchen ab 13 Jahren.
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