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Das Ende des «Girl Hate»

Collage Titelbild: © Anna Lach-Serediuk Kolażanki

Vor ein paar Jahren erzählte mir eine Freundin, die damals in leitender Funktion in einem Unternehmen tätig war, dass sie sich schwer damit getan habe, eine mehrwöchige Urlaubsvertretung für sie zu finden. Nicht, weil es an qualifizierten Kandidat*innen mangelte. Nein, sie hatte schlicht Angst vor der Konkurrenz. «Ich will ja nicht, dass mich jemand ersetzt», erklärte sie – und entschied sich deshalb für einen Mann. Sie gab selbst zu, dass das irgendwie blöd war, schließlich sei ein Mann genauso Konkurrenz wie eine Frau. Trotzdem fühle es sich anders an, denn: «Mit einem Mann werde ich weniger verglichen als mit einer Frau.»

Dass meine Freundin so denkt, überrascht leider nicht, denn das Klischee von «stutenbissigen» Frauen ist in unserer Gesellschaft und Kultur fest verankert. Allein in letzter Zeit freuten sich Medien und Öffentlichkeit wahlweise über eine (angebliche) Fehde zwischen Meghan, Herzogin von Sussex, und Catherine, Prinzessin von Wales; über ein (angebliches) Eifersuchtsdrama zwischen Haley Bieber, Ehefrau von Sänger Justin Bieber, und dessen Ex-Freundin, Selena Gomez; oder über Taylor Swifts neuen Song, in dem sie (angeblich) über Erzfeindin Kim Kardashian lästert.

So sexistisch Klischees von miteinander kämpfenden Frauen auch sind: Es steckt darin ein Stück Wahrheit. Schon Mädchen wird eingeredet, ständige Konkurrenz und «Zickenkrieg» untereinander seien normal – genauso wie der ewige Kampf darum, beliebter, schöner, besser sein zu wollen als die Andere. Doch normal ist daran nichts. Die US-amerikanische Autorin Tavi Gevinson, Gründerin des Mädchen-Online-Magazins Rookie, nennt dieses Phänomen «Girl Hate». Sie stellt fest, dass dadurch Neid, Missgunst und Unsicherheit befördert werden sowie die Vorstellung, es könne von jeder Sorte nur «die Eine» geben: die Wortführerin, die Klassenschönheit, das nerdige Mädchen, und so weiter, und so fort. Als gäbe es nicht genug Platz für alle. Auf diese Weise werden Mädchen und Frauen gegeneinander ausgespielt, was wiederum dazu beiträgt, dass sie sich gegenseitig bekämpfen – und sich selbst und andere klein halten. So verhindert «Girl Hate» letztendlich, dass Mädchen und Frauen ihre Energie in andere Dinge stecken. Ins Banden bilden, zum Beispiel. Jungs und Männer hören übrigens ganz andere Botschaften: Männliche Konkurrenz gilt als natürlich und gut, als sportlicher Wettbewerb, als Ansporn. Was zeigt: Hinter «Girl Hate» steck ein strukturelles Problem. Auch Mädchen und Frauen sind Produkte der Gesellschaft, in der sie aufwachsen – sie reproduzieren unbewusst und unbeabsichtigt viele der dort üblichen Haltungen, Rollen und Sexismen. Wenn sie sich also untereinander unsolidarisch verhalten, dann auch deshalb, weil ihnen immer und immer wieder vermittelt wird, dass sie Rivalinnen sind.

Die Frage ist: Was lässt sich dagegen tun? Als ich letztens bei einem Frauennetzwerk in der Nähe von Hamburg zu Gast war, ging es genau darum. Eine Frau berichtete, dass ihre Tochter gerade von ihren sogenannten Freundinnen ausgeschlossen würde und sie dem Ganzen hilflos gegenüberstände. «Ich versuche ja, in Sachen Freundschaft und Solidarität ein gutes Vorbild zu sein», sagte sie, «aber das hilft in dieser Situation irgendwie nicht weiter.» Ich wusste genau, was sie meinte. Als Teenagerinnen hatten meine damaligen Freundinnen und ich irgendwann keine Lust mehr auf ein Mädchen in unserem Kreis – sie war uns zu «babyhaft», zu uncool. Also schlossen wir sie aus. Meine Mutter bekam das mit und ließ mich sehr genau wissen, wie sie unser Verhalten fand. Ich hielt dennoch zu meinen Freundinnen, aber ich tat es in dem Wissen, dass unser Verhalten nicht okay war. Andere Eltern sagten nichts – und dementsprechend hatten die anderen Mädchen auch nicht das Gefühl, etwas Falsches zu tun.

Schlussendlich sind «Girl Hate» und mangelnde Solidarität unter Mädchen keine isolierten Phänomene, sondern Ausdruck einer Gesellschaft, in der traditionelle Geschlechterrollen und -stereotype sich hartnäckig halten. Was leider bedeutet, dass es kein einfaches Rezept für weibliches Konkurrenzdenken gibt. Aber ein paar Dinge erscheinen mir wichtig. Dazu gehört, die Selbstachtung von Mädchen zu stärken, damit diese andere nicht abwerten müssen, um sich selbst besser zu fühlen. Außerdem braucht es Aufklärung darüber, wie tief verankert misogyne Klischees von zickigen Mädchen und Frauen in unserer Kultur sind – und damit einhergehend das Hinterfragen von traditionellen Geschlechterrollen. Was es auch braucht: positive Vorbilder, ob in Medien, Büchern, Filmen… oder im privaten Umfeld. Denn Mädchen sehen, wie ihre Eltern, und vor allem ihre Mütter, Freundschaften pflegen, wie sie über andere, vor allem andere Frauen, sprechen.

Es gilt: «Mean girls are not born, they are made.» Das Ende von «Girl Hate» beginnt mit uns. Mit der Erkenntnis, dass wir darüber entscheiden können, ob wir andere Mädchen und Frauen als Konkurrenz sehen, so, wie uns eingeredet wird – oder nicht. Und mit der Arbeit an einer gleichberechtigteren Gesellschaft, in der Mädchen nicht mit dem Gefühl aufwachsen, es gebe nicht genug Platz für alle.


Julia Korbik wurde 1988 im Ruhrgebiet geboren. In Deutschland und Frankreich studierte sie Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Journalismus. Heute lebt und arbeitet sie als Autorin, freie Journalistin und Speakerin in Berlin. Zu ihren Themen gehören Politik und (Pop-)Kultur aus feministischer Sicht, Simone de Beauvoir und Frankreich. Zuletzt erschien bei Rowohlt „Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs“.

Julia Korbik

BUCHEMPFEHLUNGEN:

Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs.
Sisterhood ist powerful! Die Erkundung eines politischen Prinzips: Ob #MeToo oder die Proteste im Iran: In den letzten Jahren gab es zahlreiche Anlässe, bei denen Frauen füreinander eintraten. Ein Prinzip, das schon die Feminist:innen der 1970er Jahre propagierten. Aber was bedeutet das überhaupt: Schwesterlichkeit als Prinzip? Julia Korbik setzt sich in diesem Buch damit auseinander, will verstehen, wie sie aussehen kann – und was sie verhindert.

How to be a girl: stark, frei und ganz du selbst
Ein Ratgeber für Mädchen ab 13 Jahren.
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