Wir zeigen Mädchen eine Welt voller Möglichkeiten.

«Die beste Frauenförderung ist die Förderung von Mädchen»

Suba Umathevan hat fünf Jahre lang für die Mädchenrechtsorganisation Plan International Schweiz gearbeitet. Aus aktuellem Anlass des Welt-Mädchentags wirft die abtretende Geschäftsführerin einen kritischen Blick auf die Gleichberechtigung in der Schweiz.

Plan International Schweiz hat am 11. Oktober, am Welt-Mädchentag, eine Kampagne auf Social Media lanciert: Menschen fotografieren sich mit zwei blauen Strichen auf der Wange. Was hat es damit auf sich?  

Suba Umathevan: Wir wollen mit diesem blauen Gleichheitszeichen klarstellen, dass Mädchen gleichberechtigt sind. Es ging bei unserer Kampagne ausserdem darum, am Welt-Mädchentag die Wünsche der Mädchen in der Schweiz aufzunehmen. Dazu sind wir in die Ikea gegangen und haben dort Wünsche gesammelt. Darunter fand sich nicht selten der Wunsch nach Respekt, nach Würde. Mädchen haben sich auch gewünscht, dass sie das tun dürfen, was sie wollen. Das hat mich schon überrascht, dass sich Mädchen im Jahr 2020 in der Schweiz immer noch solche grundlegenden Dinge wünschen müssen.

«Wir wollen Menschen dafür sensibilisieren, dass es soziale Normen gibt, die zu Ungleichheit führen.»

Plan International Schweiz setzt sich für Mädchen in der ganzen Welt ein. In vielen Ländern sind Mädchen mit ganz anderen Problemen konfrontiert als ein Durchschnittsmädchen hier in der Schweiz: Beschneidung, keine Schulbildung, Zwangsehe … Wie gehen Sie damit um?

Natürlich sind das ganz andere Probleme, mit denen diese Mädchen konfrontiert sind. Extreme Gewalterfahrung oder Beschneidung können nicht gleichgesetzt werden mit dem Problem, sich nicht selbst verwirklichen zu können. Trotzdem finde ich, dass dies ein berechtigtes Verlangen ist, und in einem Land wie der Schweiz sollte dies eigentlich nicht mehr ein Problem sein. Unsere Aufgabe als Organisation ist trotz der grossen kulturellen Unterschiede eigentlich überall die gleiche: Wir wollen Menschen dafür sensibilisieren, dass es soziale Normen gibt, die zu Ungleichheit führen.

Was ist denn in der Schweiz die soziale Norm, die zur Ungleichheit von Mädchen führt?

Man traut den Mädchen immer noch weniger zu als Buben. Das habe ich auch persönlich erlebt. Als Jugendliche machte ich eine kaufmännische Lehre in einem grösseren Unternehmen. Ich hatte dort die Möglichkeit, beim Informatik-Lehrgang zu schnuppern. Obwohl mir diese Richtung mehr entsprochen hat, bin ich nicht auf die Informatik umgestiegen. Und zwar einerseits, weil mir die damalige Chefin davon abriet. Die vielen Wochenenddienste würden es sehr schwierig machen, nebenher noch eine Familie zu haben, sagte sie. Andererseits weil ich mich unwohl gefühlt habe in diesem reinen Männerumfeld. Ich war dort das einzige Mädchen und musste mir dumme Sprüche anhören, mit denen ich nicht umzugehen wusste.

«Sobald junge Frauen in die Arbeitswelt einsteigen, erleben die meisten in irgendeiner Form Diskriminierung am Arbeitsplatz.»

Ist das heute immer noch so?

Ich glaube, die Wahrnehmung hat sich verändert. In vielen Firmen hat ein Umdenken stattgefunden. Auf der Suche nach jungen Talenten können sie es sich schlicht nicht leisten, die Frauen und Mädchen zu übersehen. Nur bringt dies herzlich wenig, wenn bei den Mitarbeitern im Alltag dann diese Gleichberechtigung nicht gelebt wird. Und das wird es noch viel zu wenig. Das zeigt eine Umfrage, die wir letztes Jahr gemacht haben: Sobald junge Frauen in die Arbeitswelt einsteigen, erleben die meisten Diskriminierung am Arbeitsplatz. Deplatzierte Fragen und Kommentare an einem Bewerbungsgespräch etwa. Mir wurde beispielsweise auch schon gesagt, ich sei zu selbstbewusst. Das sind Dinge, die Männer so einfach nicht erleben.

«Für die Frauenrechte ist es eher ein Verhängnis, dass es uns in der Schweiz so gut geht.»

Wer hat denn an Sie geglaubt, als Sie ein junges Mädchen waren?

Ich hatte einen Lehrer in der 9. Klasse, der an mich geglaubt hat und mich unterstützte. Das hat mein Leben massgeblich beeinflusst. Aber auch mein Vater hat immer an mich geglaubt. Und dann war da auch meine Mutter. Im Gegensatz zu den Müttern meiner Klassenkamerad*innen, die nicht arbeiteten und mittags immer Essen kochten, hat meine Mutter gearbeitet. Etwas anderes wäre für uns als Flüchtlingsfamilie finanziell gar nicht möglich gewesen. Grundsätzlich ist es sicher wünschenswert, die freie Wahl zu haben. Aber dadurch, dass meine Mutter gearbeitet hat, war sie diesbezüglich auch ein Vorbild für mich und hat mich in meinem Arbeitsleben geprägt.

Ist der Wohlstand der Schweiz ein Hemmschuh für die Gleichberechtigung?

Ich denke, er ist Fluch und Segen zugleich. Für die Frauenrechte ist es eher ein Verhängnis, dass es uns in der Schweiz so gut geht. Wenn es beispielsweise finanziell ausreicht, wenn in einer Familie nur eine Person arbeitet, dann ist das oft der Mann, weil Männer durchschnittlich immer noch mehr verdienen als Frauen. Das geht gut, solange die Beziehung funktioniert, kann aber bei einer Trennung zu einem grossen finanziellen Problem werden für die Frau, auch in Bezug auf die Altersvorsorge. Kommt noch hinzu: Wenn es einem finanziell gut geht, tendiert man dazu, Missstände zu übersehen. Einfach, weil es einem scheinbar an nichts fehlt. 

Was braucht es, damit wir weiter vorwärts machen bei der Gleichberechtigung?

Rollenvorbilder sind ganz wichtig. Plan International Schweiz bot beispielsweise lange Mentoring-Programme für junge Frauen an. Es ist ganz entscheidend, möglichst früh anzusetzen. Wenn wir Frauenförderung betreiben, ist es eigentlich zu spät. Die beste Frauenförderung ist die Förderung von Mädchen. Ganz entscheidend ist auch, dass Lehrerinnen und Lehrer in der Schule sensibel mit dem Thema Gleichberechtigung umgehen. Und zu Hause natürlich die Eltern. Klar ist aber auch: Das alles reicht nicht aus, wenn sich nicht auch die Strukturen ändern. Da können gerade Firmen extrem viel bewegen. Wenn sie auch auf soziale Kompetenzen setzen und diese aufwerten, dann wird eine systemische Änderung möglich sein. Davon bin ich überzeugt.


Der internationale Mädchentag

Ursprünglich von der Organisation Plan International ins Leben gerufen, rief 2011 auch die UNO den 11. Oktober offiziell zum Welt-Mädchentag aus. Der Tag soll die Menschen daran erinnern, dass viele Mädchen auf der Welt wegen ihres Geschlechts diskriminiert werden. Beispielsweise erhält jedes vierte Mädchen auf der Welt keine Ausbildung oder hat keinen Beruf. Bei den Buben ist es weltweit nur jeder zehnte. In diesem Jahr jährt sich die UNO-Erklärung von Beijing zum 25. Mal. Darin hielt die internationale Gemeinschaft die Gleichberechtigung von Frauen und explizit auch Mädchen in allen Lebensbereichen fest. Der Welt-Mädchentag fördert die Bildung und Gleichstellung von Mädchen, insbesondere in den Ländern des globalen Südens.


Suba Umathevan ist von tamilischer Abstammung und in Bern aufgewachsen. Die letzten fünf Jahre hat sie für Plan International Schweiz gearbeitet, zwei davon als Geschäftsführerin. Die Organisation setzt sich für die Förderung von Mädchen auf der ganzen Welt ein.  

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