Wir zeigen Mädchen eine Welt voller Möglichkeiten.

«Sobald der Fokus speziell auf Mädchen liegt, regt sich Widerstand»

Der Zukunftstag 2020 fällt wegen Corona ins Wasser. Blicken wir stattdessen mit Zita Küng, einer der berühmtesten Feministinnen der Schweiz, zurück auf die Vorläufer des Zukunftstags. Zu Beginn war dieser nämlich ein Berufstag nur für Mädchen.

KALEIO: Zita Küng, als Sie noch ein Kind waren, was wollten Sie mal werden?

Zita Küng: Lehrerin. Das stand für mich schon sehr früh fest. Ich ging wahnsinnig gern zur Schule. Ich hatte eine sehr tolle Lehrerin, die mich inspirierte. Zusätzlich hatte eine andere Lehrerin mir gleichzeitig die Welt der Musik eröffnet und mich meine Leidenschaft fürs Singen entdecken lassen. Sobald ich mit der Lehrerinnenausbildung fertig war, hängte ich deshalb ein klassisches Gesangsstudium an. Bis dahin hatte niemand in meiner Familie studiert, das war ein absolutes Novum. 

Sängerin wurden Sie aber nicht …

Nein, denn davon konnte ich nicht leben, wie ich rasch merkte. Und als Gesangslehrerin wollte ich auch nicht arbeiten. Weil ich mich politisch stark engagierte, wollte ich einen Beruf haben, der mir möglichst viel Unabhängigkeit garantierte. Als Anwältin, so meine Überlegung, hätte ich meine Mandate, wäre sonst aber unabhängig von einem Arbeitgeber, der mit meinem politischen Engagement ein Problem haben könnte. Ausserdem hat mich die Frage, wie das Recht «funktionierte», schon immer umgetrieben. Also ging ich mit 29 Jahren an die Uni.

«Junge Frauen wählen aus einem viel kleineren Berufsspektrum als die jungen Männer und meistens auch die weniger lukrativen.»

Später, nach dem Jus-Studium, bauten Sie das Gleichstellungsbüro der Stadt Zürich auf. In den 90er-Jahren setzten Sie sich dafür ein, dass Mädchen stärker in der Berufsfindung gefördert werden. 2001 entstand daraus der «Nationale Tochtertag» – der Vorläufer des heutigen Zukunftstags. Weshalb fokussierte man bei dem Thema damals auf die Mädchen?

Damals – wie übrigens heute noch – wählten die jungen Frauen aus einem viel kleineren Berufsspektrum als die jungen Männer und meistens auch die weniger lukrativen. KV, Verkauf und Coiffure, das waren so die Klassiker. Buben dagegen stand eine viel breitere Palette an Berufen zur Verfügung. Es ging also darum, dass die Mädchen zusätzlich zu diesen drei Berufen weitere Möglichkeiten in den Blick nehmen sollten. Aus diesem Grund musste der Fokus zwangsläufig auf den Mädchen liegen. 

Wie wollten Sie erreichen, dass Mädchen aus einem vielfältigeren Spektrum einen Beruf auswählen?

Prägend für die Berufswahl sind einerseits die gleichaltrigen Kameradinnen und andererseits das familiäre Umfeld. Deshalb lancierten wir die Kampagne «Berufe haben (k)ein Geschlecht». Teil davon waren Fernsehwerbungen, worin Personen bei der Ausübung eines Berufs gezeigt wurden. Beispielsweise eine Person, die schweisst und die dann den Gesichtsschutz aufklappt. Darunter kommt eine junge Frau zum Vorschein. Das sollte den Mädchen signalisieren: Ihr könnt Schweisserin UND Frau sein. Gleichzeitig mussten wir die Familien mit ins Boot holen, damit diese ihre Mädchen bei der Wahl eines nicht typischen Frauenberufs auch unterstützen. Daraus entstand die Idee des «Tochtertags»: Väter sollten ihre Töchter mitnehmen zur Arbeit und ihnen so eine neue Arbeitswelt eröffnen. So lernten Mädchen ganz neue Berufe kennen und die Väter wiederum merkten, dass auch ihre Töchter einem solchen Beruf nachgehen können.  

Wieso wurde 2010 aus dem Tochtertag für Mädchen ein Zukunftstag für Buben und Mädchen?

Am Tochtertag mussten die Mädchen nicht zur Schule gehen, sondern sie gingen mit ihren Vätern ins Büro, auf die Baustelle, in die Werkstatt, an die Uni … Die Jungs bekamen hingegen nicht frei, sondern gingen ordentlich zur Schule. Da wurde – je nach Interesse der Lehrkraft – die geschlechtstypische Berufswahl aus der männlichen Perspektive thematisiert. Eine klar unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Buben also. Mit der Zeit wurden Stimmen immer lauter, die sagten, der Tochtertag würde die Buben diskriminieren. Das ist eine ganz typische Reaktion, die ich schon so oft erlebt habe. Sobald man speziell etwas für Mädchen macht, regt sich Widerstand. Am lautesten waren übrigens die Mütter von Buben.

«Macht zu teilen weckt starke Emotionen und Widerstand.»

Wie erklären Sie sich diese Reaktion?

Konkret bei den Müttern erkläre ich sie mir damit, dass sie selber als Frauen Diskriminierung erfahren haben, vielleicht auch nur unbewusst. Das bewegt sie dazu, dass sie nun ihre Kinder, ihre Buben, um jeden Preis vor einer ähnlichen Erfahrung schützen wollen. Jegliche Ungleichbehandlung – nicht nur die von den Frauen – wird als Diskriminierung interpretiert, was aber nicht korrekt ist. Klar ist: Eine Entwicklung Richtung Gleichstellung bedeutet, dass Buben und Männer gewisse Privilegien abgeben müssen. Macht zu teilen weckt starke Emotionen und Widerstand. 

Sie bedauern also, dass es den Tochtertag so nicht mehr gibt?

Die Gleichbehandlung aller Jugendlichen führt dazu, dass das Bisherige weitergeführt wird. Damit sich etwas ändert, muss eben etwas anders gemacht werden, nicht gleich.

Aus Sicht der Gleichstellung ist deshalb die Abschaffung des Tochtertags schlecht. Heute ist der Zukunftstag ein Berufsorientierungstag, der zwar einen Seitenwechsel anstrebt, aber im schlimmsten Fall die Genderklischees bei den Berufen reproduziert, weil Jungs «halt doch lieber etwas Technisches» machen.

Aber die Organisator*innen des Zukunftstags wollen dies doch verhindern. Es gibt spezielle Projekte unter dem Slogan «Seitenwechsel»: Mädchen, die sich als Schreinerin ausprobieren, und Buben, die in den Beruf des Floristen reinschnuppern.

Dieser Seitenwechsel setzt eine intellektuelle Auseinandersetzung voraus: Es gibt typische Frauen- und Männerberufe, und diese Trennung gilt es zu überwinden. Es ist ein politisches Projekt. Für die jungen Leute ist das eine abstrakte Angelegenheit. Sie interessieren sich viel mehr dafür, was sie beruflich einmal werden wollen. Sie möchten einfach Berufe ausprobieren. Den Seitenwechsel erklären – das muss man den Erwachsenen und nicht den jungen Leuten.

Glauben Sie, Sie hätten eine andere Berufslaufbahn ergriffen, wenn es schon zu Ihrer Zeit einen Tochtertag oder Zukunftstag gegeben hätte?

Das ist rückblickend sehr schwierig zu sagen. Als ich Kind war, war der Beruf des Bähnlers und Tramchauffeurs sehr angesehen. Wer weiss, vielleicht hätte ich daran Gefallen gefunden, wenn ich mal in einer Führerkabine mitgefahren wäre. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass es wichtig ist für Mädchen, möglichst viele verschiedene Inputs zu bekommen.


Zita Küng ist Juristin, Präsidentin des Vereins CH2021und bietet mit ihrer Firma EQuality Coachings für weibliche Führungskräfte an. Sie ist Frauenrechtsaktivistin und leitete zwischen 1990 und 1996 das Büro für Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Zürich.

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