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Heldinnen haben ausgedient

Vergesst die Heldinnen und Helden! Die wahre Stärke der Frauenbewegung liegt in ihren Netzwerken und gemeinsamen Aktionen. Zum Weltfrauentag sprechen wir mit Lina Gafner vom Gosteli-Archiv über die Bedeutung von Vernetzung und kollektivem Handeln und darüber, wieso wir Geschichte neu denken sollten.


Lina Gafner ist promovierte Historikerin und spezialisiert darauf, wie Geschichtsforschung einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden kann. Zusammen mit Simona Isler ist sie die Co-Direktorin des Gosteli-Archivs zur schweizerischen Frauenbewegung. Das Team archiviert Nachlässe von Frauenorganisationen sowie private Archive und macht auf der Website ZUSAMMENFRAUEN Erfolgsgeschichten der Frauenbewegung für alle zugänglich.

Lina Gafner vom Gosteli-Archiv

KALEIO: Steigt bei euch im Gosteli-Archiv – dem Archiv für die Schweizerische Frauenbewegung – am Weltfrauentag eigentlich eine grosse Party?

Lina Gafner: Bei uns ist der 8. März ein Feiertag, an dem wir alle frei haben! Allerdings erreichen uns gerade für diesen Tag besonders viele Anfragen von Medienschaffenden, weshalb einige von uns doch arbeiten.

Der Weltfrauentag ist ein Tag, an dem sich Frauen über die Landesgrenzen hinaus miteinander solidarisieren und gegenseitig unterstützen. Mit Blick auf die Schweiz: Können wir die Frauenbewegung als Erfolgsgeschichte feiern?

Ja, auf jeden Fall, gerade weil sie mit sehr vielen Hindernissen, Spaltungen und Rückschlägen zu kämpfen hatte, haben ihre Erfolge für die Frauen eine grosse Bedeutung. Im Moment gibt es wieder ein zunehmendes Bewusstsein dafür, was alles von Männern und für Männer gedacht und von ihrer Lebensrealität und ihren physischen Voraussetzungen geprägt ist, zum Nachteil von Frauen. Stichwort: Renten- und Data-Gap, Wert der Carearbeit, Lohnunterschiede oder auch die Medizin.

Der Frauenstreik 2019 hat eine ganze Generation von jungen Frauen politisch geprägt und die Solidarität unter Frauen in der Schweiz gestärkt. Bild: Raphael Moser.

Bezeichnet ihr auch die (beschämend späte) Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechtes als Erfolg?

1971 ist tatsächlich ein zwiespältiges Datum. Denn auch wenn sich Generationen von Frauen über Jahrzehnte dafür eingesetzt haben, war es am Schluss die männliche Bevölkerung, die den Frauen die politischen Rechte geben musste. Obwohl ihnen diese ja einfach zustanden.

Trotzdem haben wir uns dafür entschieden, auf unserer Webseite ZUSAMMENFRAUEN diesen wichtigen Aspekt der Frauenbewegung als Erfolgsgeschichte zu erzählen. Denn wir möchten zeigen, wie die Frauenbewegung in der Geschichte funktioniert hat und wann sie erfolgreich war. Dazu gehört auch die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts.

Unter welchen Voraussetzungen war die Frauenbewegung erfolgreich?

Die Frauenbewegung ist dann stark, wenn sie über verschiedene Gräben hinweg zusammenfindet. Das war beim Stimm- und Wahlrecht der Fall. Frauen aus unterschiedlichen Schichten, mit unterschiedlichen Konfessionen und politischen Ausrichtungen haben dafür gekämpft. Begünstigt wurde dies dadurch, dass sich Frauen vor 1971 politisch eher über ihr Engagement und ihre Zugehörigkeit zu einer Frauenorganisation definiert haben und weniger über eine Parteizugehörigkeit.

Für viele überraschend: Nonnen aus Freiburg setzen sich für das Recht auf Abtreibung ein (März 1982). Bild: Vogler, Gertrud: Zürich; Signatur: Sozarch_F_5107-Na-22-056-036

Als Frauen ab 1971 politische Karrieren in den Parteien anstrebten, wurde es für sie schwieriger, Allianzen zu schmieden. Denn in den Parteien waren es die Männer, die die politische Agenda vorgaben. Zwar gab es schon immer Spaltungen in der Frauenbewegung, aber jetzt kam eine zusätzliche – nämlich die der Parteizugehörigkeit – dazu.

Sie sprechen immer von einer Bewegung und nennen keine Namen. Gab es denn nie herausstechende Anführerinnen, Heldinnen sozusagen, auf die wir zurückblicken könnten?

Heldinnen, die wir auf einen Sockel stellen und als Vorbild bezeichnen können? Darauf hat sich Frauengeschichte eine Weile lang fokussiert, um den männlichen Helden etwas entgegenstellen zu können. Wir möchten eine andere Geschichte erzählen.

Frauen und Sport – auch das ist ein langer Kampf, für den sich viele Frauen über Jahrzehnte eingesetzt haben. Hier: Frauenturnfest 1920. Bild: Gosteli-Stiftung, AGoF 530 : 27:51-137

Warum?

Nehmen Sie ein Geschichtslexikon zur Hand. Wer erhält dort gewöhnlich einen Eintrag?

Naja, Personen, die etwas geleistet haben.

Genau. Nur, unser gesellschaftlicher Begriff von Leistung ist sehr auf Männerbiografien ausgerichtet, wie zum Beispiel ein grosses Unternehmen gründen oder etwas Bahnbrechendes erfinden. Frauen spielen da höchstens eine Nebenrolle. Wir sollten uns also die Frage stellen: Was gibt es noch für andere Arten von Leistung, die es wert sind, sich daran zu erinnern? Das Kapital von Frauen lag und liegt häufig in ihren Beziehungen und Vernetzungen, dank denen sie sich zu Gruppen und Organisationen zusammenschliessen, um sich gemeinsam für etwas einzusetzen. Indem wir die Nachlässe von Frauenorganisationen archivieren und erforschen, können wir das kollektive Handeln vieler Einzelpersonen aufzeigen und erlebbar machen.

Ich glaube, diese Sicht auf Geschichte wird nicht nur Frauen, sondern uns als Gesellschaft gerechter. Wir wissen doch alle, dass hinter einer Erfindung oder gesellschaftlichen Veränderung nicht nur das Wirken von einer Einzelperson, sondern das Zusammenwirken von vielen steckt.

Warum ist es Ihnen so wichtig, das zu betonen?

Die grossen Herausforderungen, die sich uns als Gesellschaft stellen wie Armut, Klimawandel und Krieg, die kann unmöglich eine Person allein lösen. Da kann es motivierend sein, sich erfolgreiche Veränderungen in der Geschichte anzuschauen und zu sehen, dass dahinter stets kollektive Kräfte steckten. Und da gibt es in der Frauenbewegung eben viele Beispiele.

Ein wichtiger Schritt zur Enttabuisierung von Gewalt in der Ehe war die Gründung von Frauenhäuser, wie jenes auf dem Foto in der Stadt Zürich. Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_LC2017-001-001 / CC BY-SA 4.0

Dann möchte ich ein inspirierendes Beispiel zum Schluss hören …

Gerne: Die Enttabuisierung von sexualisierter Gewalt und von häuslicher Gewalt. Auch hier hat sich eine breite Allianz von Frauen über alle Parteigräben hinweg dafür eingesetzt, dass die Öffentlichkeit auf das Problem sensibilisiert wurde. Dies führte dazu, dass in den 1980er-Jahren einerseits Schutzräume für Betroffene – also Frauenhäuser – eröffnet wurden, andererseits, dass das Parlament die Gesetzgebung schrittweise verschärfte, zuletzt 2023, mit der neuen Regelung: «nein heisst nein».

Wir wissen, dass manche Parlamentarier:innen schliesslich für dieses Gesetz stimmten, weil sie zu Hause von ihren Töchtern für das Thema sensibilisiert wurden. Die Kombination von Überzeugungsarbeit im privaten Umfeld, Druck von der Strasse, Expert:innenwissen und Lobbyarbeit kann einen Stimmungswandel herbeiführen, den man noch Monate zuvor für unmöglich hielt.


Für jene, die trotzdem mehr über Frauenfiguren aus der Schweizer Geschichte erfahren wollen:

Der KALEIO-Comic “Kira & Kooki: Auf den Spuren des Energiekristalls” nimmt seine Leser:innen mit auf eine abenteuerliche Zeitreise in die Vergangenheit.

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