Deshalb braucht es Räume nur für Mädchen

Collage Titelbild: © Anna Lach- Serediuk

Seit über 20 Jahren gibt es in Basel das Mädona, den Treff für Mädchen und junge Frauen, – einen sicheren Ort, an dem sie sich entfalten, austauschen und entwickeln können. Doch was macht diesen Jugendtreff so einzigartig, und warum ist es in der heutigen Zeit immer noch wichtig, geschlechtergetrennte Jugendarbeit anzubieten? Die Co-Leiterinnen Angie Orlando und Carmen Büche waren fast von Anfang an dabei im Mädona und geben Einblicke in ihre Arbeit und die Herausforderungen, denen sie täglich begegnen.

Ein Jugi nur für Mädchen

«Mädchen haben nicht viel Platz in den Jugendhäusern, weil dort immer noch mehr Jungs hingehen und Raum für sich beanspruchen», erklärt Angie Orlando. Das Problem sei nicht neu, aber nach wie vor aktuell: «Jugendarbeit richtet sich an Jugendliche, und Mädchen sind auch Jugendliche. Aber sie kommen oft zu kurz. Daher ist es für uns klar, dass es einen Treff speziell für Mädchen braucht.»

In der Deutschschweiz gibt es ausser in Basel auch in Thun, St. Gallen und Bern ein ähnliches Angebot. Allerdings sticht Mädona besonders hervor, weil es von Montag bis Freitag geöffnet ist – eine Seltenheit, die nur durch ausreichende finanzielle Mittel möglich ist. Der Basler Mädchentreff erhält wie andere Jugendhäuser Geld vom Kanton. Daneben ist das Team auf zusätzliche Unterstützung von Stiftungen angewiesen, um das einzigartige Angebot aufrechterhalten zu können.

Carmen Büche (links) und Angie Orlano (und auch Hündin Hailey ) haben immer ein offenes Ohr für ihre jungen Besucherinnen. (Foto: Donata Ettlin)

Geschlechtertrennung und Raumaneignung

Die Frage, ob Mädchen nicht lernen sollten, sich in gemischten Einrichtungen ihren Raum zu erkämpfen, werde den Leiterinnen oft gestellt. Carmen beobachtet, dass es vielen Mädchen schwerfällt, selbstständig und selbstbewusst Raum einzunehmen. «Ich glaube, das hängt mit der Erziehung zusammen. Nach wie vor werden Mädchen dazu erzogen, angepasst und ruhig zu sein.» 

Kommt hinzu: Der öffentliche Raum ist oft für Jungs gestaltet, mit Angeboten wie Fussball- oder Basketballplätzen. Eine Umfrage von Mädona zeigt indes, dass Mädchen sich zwar durchaus bewegen wollen. Allerdings wünschen sie sich andere Formen. Trampolin, Klettermöglichkeiten oder grosse Schaukeln wurden von Mädchen in der Umfrage am häufigsten genannt. Dinge, die in Parkanlagen oder auf öffentlichen Plätzen noch kaum anzufinden sind.

Das Mädona hat jeden Nachmittag unter der Woche offen. (Foto: Donata Ettlin)

Das Grundbedürfnis nach einem eigenen Raum ziehe sich durch alle Altersgruppen und kulturellen Hintergründe, beobachten die zwei Leiterinnen. Viele der Mädchen, die das Mädona besuchen, kommen aus Familien, in denen gemischte Jugendeinrichtungen ohnehin keine Option sind – sei es aus kulturellen oder religiösen Gründen. Aber auch Mädchen, die frei entscheiden könnten, bevorzugen oft den Mädchentreff.

Während die meisten Jugis für Jugendliche ab 12 Jahren sind, heisst das Mädona Mädchen bereits ab 10 Jahren willkommen. «Wir merken oft, dass Mädchen mit 13 neugierig auf gemischte Angebote werden, aber später wieder zu uns zurückkommen, weil sie sich in unseren Räumen mit ihren speziellen Themen wohler fühlen», erklärt Angie.

Integrationsarbeit und Emanzipation

Themen wie Schule, die Suche nach einer Lehrstelle, Sexualität oder Beziehungsfragen werden im Mädona in einem geschützten Raum besprochen. «Viele unserer Mädchen fühlen sich stark unter Druck gesetzt», sagt Carmen. Druck, den verschiedenen Welten, in denen sie sich bewegen, gerecht zu werden. «Bei ihnen zu Hause gelten oft strengere Regeln, während sie ausserhalb und auf Social Media eine Vielzahl von Möglichkeiten sehen, die ihnen theoretisch offenstünden.»

Die Realität vieler Mädchen sehe jedoch anders aus, sagt Angie. Sie tragen oft schon früh Verantwortung für ihre Geschwister und seien in ihrer Freizeitgestaltung weniger frei als Jungs. «Sie dürfen nicht alles machen, was sie wollen, beispielsweise ist ein Fussballtraining oft tabu», erzählt Angie. «Viele Leute sagen, dass Mädchenarbeit nicht mehr nötig sei, weil die Emanzipation schon stattgefunden habe. Das erleben wir hier ganz anders.»

Der Druck auf Mädchen sei sogar grösser geworden – sowohl von zu Hause als auch von aussen. «Rollenklischees und die gestiegenen Anforderungen an Mädchen zeigen uns den grossen Bedarf, sie dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden.»

Berufswahl und Rollenvorbilder

Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit beim Mädona ist auch die Unterstützung bei der Berufswahl. Oftmals sind die Berufswünsche der Mädchen stark von den Erwartungen ihrer Familien geprägt. «Viele sagen uns, sie wollen die Ausbildung zur Fachperson Gesundheit machen, weil das ein guter Beruf für eine Frau sei», erzählt Angie. Doch das Team von Mädona zeigt ihnen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt. «Wir versuchen, ihren Horizont zu erweitern, indem wir sie mit Berufen vertraut machen, die nicht typisch weiblich sind. Das finden die Eltern oft gut, weil sie selbst diese Vielfalt nicht kennen.»

Mädona ist mehr als nur ein sicherer Raum – es ist ein Ort, an dem Mädchen die Möglichkeit haben, sich frei zu entfalten, und dabei unterstützt werden, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.

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