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Die «Radikalen Töchter»: Aus Wut mach Mut

Cesy Leonard inspiriert seit 2019 mit den «Radikalen Töchtern» junge Menschen dazu, ihre Wut für politische Protestaktionen zu nutzen. Mit ihrem «Mutplaner» und ihren Workshops ermächtigt das Kollektiv junge Menschen, den eigenen Mut zu entdecken, um ins Handeln zu kommen. Wir haben Cesy bei einem dieser Workshops begleitet und mit ihr über Wut und Mut, Radikalität und Geschlechterrollen in der politischen Arbeit gesprochen.

«Findest du es ok, in den Zoo zu gehen? Gibt es böse Menschen? Was würdest du tun, wenn du drei Wünsche frei hättest?» Der Workshop der «Radikalen Töchter» startet philosophisch, bei einem Speed-Dating. Die 15 Teilnehmer*innen sind Studierende der Universität Potsdam. Die meisten von ihnen, die den Workshop im Rahmen eines Seminars besuchen, hatten bisher wenig Kontakt mit Aktionskunst und schauen neugierig in die Runde.

Cesy, ihr nennt euch die «Radikalen Töchter». Was ist für dich Radikalität?

Radikalität ist für mich der Wunsch, den Status quo nicht zu akzeptieren. Und wer den Status quo nicht akzeptieren will, braucht den Mut, Dinge radikal anders zu denken und die Probleme an der Wurzel zu packen. Radikalität kann manchmal verletzend sein, für sich selbst und für andere, weil es unangenehm ist, das Gewohnte zu verlassen oder sich zu verändern. Aber radikale kreative Kraft kann eben auch inspirieren, Menschen weiterkatapultieren und neuen Mut erzeugen.

Wie seid ihr auf euren Namen gekommen?

Der Name «Radikale Töchter» hat uns total Spass gemacht, weil man mit Töchtern leider manchmal immer noch etwas sehr Braves verbindet. Die Tochter ist meistens so lieb, räumt auf und ist in der Schule immer nett. Dieses Verhalten wird von unserer Gesellschaft immer noch stark honoriert: Ja nicht ausbüxen und auf keinen Fall frech sein! Deshalb finden wir es wichtig, zu sagen: Wir sind radikale Töchter! Das Wort Töchter bedeutet alles bei uns. Auch nicht binäre Menschen, trans Personen oder Cis-Männer können eine Tochter sein, weil das für uns ein Begriff ist, der nicht ein Geschlecht definiert, sondern eher diejenigen, die immer unterschätzt wurden und werden.

So viel ist zu Beginn des Workshops bereits klar: Die «Radikalen Töchter» wollen bestärken, das Unsichtbare sichtbar machen und gerade junge Menschen dort abholen, wo sie sich nicht gehört und ohnmächtig fühlen. Genau deshalb wollen sie einen Raum gestalten, in dem jede*r die eigene Wut nutzen, mutig sein und teilhaben kann. Ihr Trainingsplan aus Aktion, Kunst und Politik ist darauf ausgerichtet, einen Funken zu entfachen. Themen radikal anders zu denken ist hier explizit erwünscht. Eine Fähigkeit, die Cesy bereits aus früheren Aktivitäten mitbringt.

Hoch zu Ross: Die Radikalen Töchter in den für sie so typischen bunten Arbeitsanzügen. Links zu Pferd: Cesy Leonard. © PatrykWitt.

Du warst vor der Gründung der «Radikalen Töchter» Sprecherin beim Zentrum für Politische Schönheit. Wie bist du dazu gekommen, die «Radikalen Töchter» zu gründen?

Aktionskunst hört bei den Aktionen nicht auf, sondern geht mit dem Erzählen darüber weiter. Das hat eine unglaubliche Kraft und kann in Menschen den Wunsch wecken, selbst etwas bewegen zu wollen. Es ist wie bei einem Kunstwerk, das weiterwirkt. Daraus wollte ich etwas entwickeln. Und dann war da auch der Wunsch, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die in ihrem Leben noch nie etwas von Aktionskunst gehört oder das Gefühl haben, es wird ihnen von oben etwas aufgedrückt. Es ist toll zu sehen, wie spannend Aktionskunst sein kann, um eigene kreative Wege zu finden und Menschen zu empowern.

Wer Aktionskunst macht, will sich mit künstlerischen Mitteln in soziale und politische Verhältnisse einmischen. Kunst und Aktivismus liegen hier eng beieinander, und doch macht Cesy Leonard im Workshop deutlich: «Wir sind vor allem Aktivist*innen. Sonst würde man uns nur in diesem künstlerischen Rahmen sehen. Aktionskunst geht aber ganz klar darüber hinaus.» Dieses Selbstverständnis sei wichtig, denn Künstler*innen haben in der Regel keine politische Agenda, Aktivist*innen schon. Nicht allen gefällt das.   

Aktionskunst ist etwas, das in der breiten Bevölkerung nicht nur auf Wohlwollen stösst. Allein der Begriff «Radikalität» macht vielen Menschen Angst. Wie gehst du mit Widerstand um?

Das ist etwas, das man lernen muss. Wir sagen immer: Mut ist ein Muskel. Manche Menschen haben ihn vielleicht mehr als andere, aber letztlich können wir ihn trainieren. So wie den Umgang mit Widerstand. Vor allem Mädchen und Frauen oder weiblich gelesene Personen bekommen immer Zuspruch für braves, angepasstes Verhalten. Wir lernen zu wenig, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, uns unbeliebt zu machen, hässlich zu sein oder aus einer Gruppe herauszustechen. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass es in der politischen Arbeit auch System hat, Frauen und Mädchen über diese Art und Weise mundtot zu machen. Sie äussern sich zum Beispiel zu einem Klimathema oder schreiben etwas Politisches auf Social Media, und sofort werden sie auf ihr Geschlecht oder ihr Aussehen reduziert. Wenn man immer wieder damit konfrontiert ist, wird man irgendwann besser darin, Dinge nicht so persönlich zu nehmen, sondern sie der Person zuzuschreiben, die sie geäussert hat.

Eine Teilnehmerin des Workshops fragt: «Braucht es politische Erweckungsmomente? Was erweckt überhaupt das Feuer?» Wie man Menschen dazu bringt, sich für ein Thema zu begeistern, ist in den Workshops der «Radikalen Töchter» eine grundlegende Frage. Ganz bewusst nutzen sie Emotionen, die Menschen ins Handeln bringen und Aktionskunst erfolgreich machen. Am naheliegendsten: Wut und Empörung. Doch die «Radikalen Töchter» wollen noch einen Schritt weitergehen und fragen: Was an der individuellen Wut hat eine gesellschaftliche Komponente? Eine weitere Teilnehmerin des Workshops meldet sich und sagt: «Wut ist so eine wichtige und doch unterschätzte Emotion. Ich hatte mir für dieses Jahr sogar ganz explizit vorgenommen, wütend zu sein!»

Nun bekommen gerade wütende Frauen gern einmal den Stempel der hysterischen Zicke aufgedrückt. Wie erlebst du das in deiner Arbeit, Cesy?

Wenn wir bei den «Radikalen Töchtern» von Wut sprechen, geht es ja auch darum, eine Wut zu haben, die tatsächlich Veränderung bringt. Das geht natürlich auch sachlich. Das heisst: Ich fühle diese Wut, und dann spreche ich etwas an. So komme ich ins Handeln, bastele ein Plakat, gehe auf die Strasse oder konfrontiere meine Chefin mit etwas. Wir haben häufig nicht gelernt, diese Wut-Kraft zu nutzen. Vielleicht, weil sie auch beängstigend ist. Bei unseren Workshops merken wir oft, und zwar bei Frauen und jungen Männern gleichermassen, dass Wut in unserer Gesellschaft sehr negativ konnotiert ist und Jugendliche sie erstmal nicht fühlen wollen. Es wird nicht sofort darüber gesprochen, oder wir hören Sätze wie: «Mich macht nichts wütend.» 

Wut die antreibt…Für die Radikalen Töchter eine unterschätzte Emotion, die Menschen ins Handeln bringt. © Jürgen Grünwald

Oft geht es da auch um den Blick von aussen. In unserer Ausgabe «Herzen und Likes» sprechen wir über das Bedürfnis zu gefallen, das viele von uns gut kennen. Wie gehst du damit um?

Ich bin dieses Jahr 40 geworden und habe das Gefühl, ich mache mich Stück für Stück immer freier von Likes. Aber es ist noch ein weiter Weg, weil ich als Person so sehr darauf getrimmt wurde. Wenn man sich als Mensch davon freimachen kann, gemocht zu werden, dann ist man wirklich frei! Dann findet man zu sich selbst, dann kann man selbst entscheiden: «Was mag ich an mir, was mag ich nicht an mir, was möchte ich sagen, was möchte ich nicht sagen?» Frauen und Mädchen sind im Allgemeinen ganz extrem im Aussen: « Ist alles in Ordnung mit den anderen? Wie finden sie mich oder was denken sie wohl von mir?» Das könnten wir verbessern, indem wir im Freundinnenkreis darüber sprechen und aktiv üben, liebevoll miteinander anzuecken.

Dieses Anecken üben die Teilnehmer*innen auch im Workshop. Denn ihre Aufgabe ist es, mithilfe verschiedener Strategien eine Aktion zu planen. «Häufig ist zunächst unklar, in welche Richtung die Aktion gehen wird», erklären die Workshopleiterinnen. «Je konkreter oder kleiner der Ausgangspunkt aber ist, umso spannender ist die Aktion, die daraus entstehen kann.» Und damit eine Aktion Wirkung entfalten kann, muss sie auch unangenehm sein und ein Stück weit provozieren. Das Anecken will also tatsächlich geübt sein! Einmal habe zum Beispiel eine Gruppe die Online-Plattform Ebay genutzt, um dort die Demokratie zu verkaufen. In einem weiteren Workshop erzeugten die Aktionskünstler*innen einen virtuellen Stau auf Google Maps. Es gibt viele Möglichkeiten, Aktionskunst zu machen. «Was in einem Raum gut funktioniert, kann in einem anderen Kontext schon wieder vollkommen anders wirken. Jede*r muss hier schauen, was zu ihr oder ihm passt.» Wichtig sei, so erklärt Cesy im Workshop, Dinge auszuprobieren, sich zu trauen, Visionen zu haben und Ideen im Grossen zu denken, so unwahrscheinlich sie auch sein mögen. Ihr Credo: Geht nicht, gibt’s nicht!


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