4 Tipps, um fleissige Mädchen vor dem Ausbrennen zu schützen

Collage Titelbild © Anna Lach-Serediuk.

Eigentlich war Hermine Granger einer meiner liebsten Charaktere in der Harry-Potter-Saga. Doch meine letzte Recherche zwang mich dazu, Hermine mit anderen Augen zu sehen. Ich finde sie immer noch grossartig – und genial. Doch heute empfinde ich viel mehr Mitgefühl für sie als früher. Und das kam so …

Die Planungen für die erste Mädchenkonferenz von KALEIO laufen auf Hochtouren. Während der Konferenz können die Teilnehmerinnen verschiedene Panels besuchen und sich zu Themen, die sie besonders beschäftigen, untereinander und mit Fachpersonen austauschen. Eines der am häufigsten gebuchten Panels: Schulstress und Selbstfürsorge.

Unter Schulstress leiden öfters Mädchen

Das ist keine Überraschung. Eine WHO-Studie konnte zeigen, dass Mädchen deutlich häufiger als Jungen unter Schuldruck leiden, besonders im Teenageralter. In fast allen der 32 untersuchten Länder in Europa und Nordamerika gaben Mädchen deutlich häufiger an, sich Sorgen über Schulleistungen zu machen und Prüfungen als stressvoll zu empfinden.

In Ländern mit stark leistungsorientierten Schulsystemen wie der Schweiz und Deutschland zeigt sich ein besonders hoher Anteil an Mädchen, die Schuldruck empfinden. In der Schweiz sind es rund 60 Prozent, während es bei den Jungen 45 Prozent sind. Und: Dieser Stress wirkt sich bei Mädchen stärker negativ auf ihre allgemeine Zufriedenheit und Gesundheit aus als bei Jungen.

4 Tipps, wie wir Mädchen dabei unterstützen können, nicht in Stress und Perfektionismus zu versinken:

  • Erfolge benennen – nicht kleinreden: Hilf Mädchen, ihre Leistungen realistisch und selbstbewusst wahrzunehmen. Statt Erfolge als «Glück» oder «Zufall» abzutun, frage nach den Gründen: «Welche Vorbereitung, Strategie oder Anstrengung hat zu diesem Erfolg geführt?» So lernen Mädchen, Erfolge mit ihrem eigenen Einsatz zu verknüpfen – ein wichtiger Schritt zu einem gesunden Selbstvertrauen.

  • Eine lernförderliche Fehlerkultur leben: Fehler sind ein zentraler Teil des Lernens. Ermutige Mädchen, Neues auszuprobieren, auch wenn nicht alles sofort gelingt. Stelle Fragen wie: «Was hast du ausprobiert?», «Was hast du daraus gelernt?», «Was machst du beim nächsten Mal anders?» So verschiebt sich der Fokus vom Perfektionismus hin zu Wachstum, Lernfreude und Veränderbarkeit.

  • Eigene Geschlechterzuschreibungen und Erwartungen reflektieren: Achte bewusst darauf, wie du im Unterricht oder zu Hause sprichst, lobst und Rückmeldungen gibst. Wen lobe ich wofür? Ermutige Mädchen für ihren Mut, ihre Ideen und ihr Durchhaltevermögen – nicht nur für Fleiss oder Anpassung. So trägst du dazu bei, einschränkende Geschlechterrollen aufzubrechen.

  • Vielfältige weibliche Vorbilder sichtbar machen: Zeige Mädchen inspirierende Frauen in Wissenschaft, Technik, Kunst, Politik oder Sport, kurz in Männerdomänen bzw. «brillanzgerahmten» Feldern. Sprich über unterschiedliche Lebenswege, über Rückschläge und kreative Umwege. Das stärkt Selbstwirksamkeit, weckt Interesse an anspruchsvollen Fächern und zeigt «weibliche Exzellenz» und vielfältige, nicht immer lineare Wege zum Erfolg.

Warum Hermine nie abschalten kann

Auch Harry und Ron machen sich – trotz deutlich schlechterer Noten – viel weniger Druck und wirken die längste Zeit des Schuljahres deutlich entspannter wegen der Schule als Hermine. Dabei könnte doch Hermine aufgrund ihrer grossartigen Leistungen eigentlich gelassener sein, sich etwas zurücklehnen und sagen: «Ich bin gut und schaffe das.» Tut sie aber nicht. Und das ist kein Zufall.

Denn tendenziell schreiben Mädchen ihre guten Leistungen nicht ihren Fähigkeiten zu, sondern erklären sie häufiger mit Zufall, Glück oder damit, dass die Aufgabe leicht war. Für Misserfolge machen sie hingegen öfter die eigenen (fehlenden) Fähigkeiten verantwortlich. Dieses Phänomen beginnt schon sehr früh im Leben vieler Mädchen und wurzelt in unseren gesellschaftlichen Geschlechterzuschreibungen.

«Brillanz = männlich, Fleiss = weiblich»

So haben bereits sechsjährige Kinder häufig das Stereotyp «Brillanz = männlich, Fleiss = weiblich» übernommen – wie eine Studie zeigte, die in der renommierten Zeitschrift Science publiziert wurde. Nach dem Schuleintritt schreiben Mädchen ihrem Geschlecht seltener besondere Intelligenz zu und bevorzugen Aktivitäten für «fleissige Kinder» statt «für sehr, sehr schlaue Kinder».

Auch wir Erwachsene scheinen in diesem Narrativ gefangen. Wie liesse sich sonst erklären, dass Jungen signifikant häufiger von Förderangeboten für Begabte profitieren als Mädchen – wie aus der Untersuchung der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik aus dem letzten Jahr hervorgeht?

Offenbar sind auch Lehrpersonen und Eltern schneller bereit, einen Jungen als besonders intelligent einzustufen als ein Mädchen. Die Gefahr ist gross, dass diese innere Erwartungshaltung auf Kinder abfärbt und sich schliesslich selbst erfüllt.

Wenn Fleiss zur Falle wird

Tatsächlich bleiben viele Jungen – ebenso wie Ron und Harry – verhältnismässig entspannt, selbst wenn sie keine guten Noten haben. Eine mögliche Erklärung liefert eine Studie aus dem Jahr 2023: Kinder trennen mit zunehmendem Alter stärker zwischen schulischem und beruflichem Erfolg. Jungen akzeptieren, dass Mädchen in der Schule besser sind, halten aber weiter an der Vorstellung fest, als Männer später im Berufsleben erfolgreicher seien. Da fällt es leichter, bei schulischen Misserfolgen entspannt zu bleiben.

Ich möchte klarstellen: Fleiss ist an sich nichts Schlechtes. Wir sollten nicht den Fehler machen, diese Eigenschaft abzuwerten. Solange Fleiss nicht in Stress und Perfektionismus kippt, kann er ein mächtiger Motor sein.

Fachliche Unterstützung:
Dr. Jana Lindner

Jana Lindner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Basel und Mitglied des fachlichen Beirats von KALEIO. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen u.a. Geschlechtergerechtigkeit in Bildung und Erziehung. Sie arbeitet in Projekten wie «Gendersensible MINT-Vorbilder» und «Auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter in der Bildung» mit.

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