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So geht Schule im 21. Jahrhundert

Collage Titelbild: © Karolina Wojciechowska

Im Zeitalter der Digitalisierung und zunehmend heterogener Gesellschaften stellt sich die Frage, wie Schule im 21. Jahrhundert gestaltet sein sollte. Die Autorin und Psychologin Verena Friederike Hasel erzählt im Gespräch mit KALEIO, wie Kinder am besten lernen und welche Kompetenzen in der modernen Welt unerlässlich sind.

KALEIO: Frau Hasel, sie sind Psychologin, Mutter dreier Töchter und gehen seit Jahren als Buchautorin der Frage nach, wie Schule im 21. Jahrhundert aussehen soll. Haben Sie Antworten gefunden?

Verena Friederike Hasel: Ja, ich denke schon. Genau das war auch mein Ziel. Es gibt genug Bücher, die anprangern, was in unseren Schulen nicht gut läuft. Dabei müssen wir dringend eine Vorstellung davon entwickeln, wie wir es besser machen können. Denn im Moment steuern wir auf eine Sackgasse zu.

Warum?

Weil wir in den deutschsprachigen Ländern – überspitzt gesagt – immer noch Schule haben, die nach dem Fabrikmodell funktioniert. Da kommt ein Werkstück rein, nämlich das Kind, und wird mit Wissen bestückt. Zwischendurch wird es getestet, und wenn es fertig ausgestattet ist, in die Welt entlassen. Dahinter steckt eine veraltete Vorstellung von Lernen, die wissenschaftlich längst überholt ist und nicht in die heutige Welt passt.

Verena Friederike Hasel ist Psychologin und Autorin. Für ihr neustes Buch «Das krisenfeste Kind» reiste Hasel nach Finnland, um herauszufinden, was das finnische Schulsystem besser macht. Erstmals erschienen im Kein & Aber Verlag (2023).

Wie machen wir es besser?

Erstens müssen Kinder lernen zu lernen und sie müssen sich ins Lernen verlieben. Natürlich müssen sie Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben, Fremdsprachen und Rechnen lernen. Ansonsten aber ist es heute viel nützlicher zu wissen, wie man sich selbständig ein Thema erschliesst.

Zweitens müssen wir viel stärker die Eigenmotivation fördern. Menschen lernen am besten, wenn sie wissen, warum sie etwas tun. Und das Dritte, was ich ganz wichtig finde, ist, dass wir unsere dualistische Sicht aufs Lernen ablegen.

Was meinen Sie mit «dualistisch»?

Ich meine damit, dass wir als Gesellschaft dazu neigen, stark zwischen Fachwissen und den sozio-emotionalen Fähigkeiten zu unterscheiden. (Damit sind Kompetenzen wie das Erkennen und Regulieren von Emotionen, Empathie, Beziehungspflege, Kooperations- und Entscheidungsfähigkeit gemeint. Anm. d. Red.) In vielen Köpfen ist noch immer verankert, dass die Schule Fachwissen vermitteln soll, während das Elternhaus für die sozio-emotionalen Kompetenzen zuständig sei. Diese zwei Dinge zu trennen ist, aber sinnlos. Wenn ich wie kürzlich mit meiner Tochter beim Backen von Zimtschnecken feststelle, dass wir die Mengenangaben im Rezept umrechnen müssen, höre ich schliesslich auch nicht auf und sage: Das ist Mathematik und gehört in die Schule, das machen wir nicht zu Hause.

«Nur wem es gut geht, kann gut lernen.»

Aber was haben sozio-emotionale Fähigkeiten mit Lernen zu tun?

Diese Fähigkeiten sind wichtig, um aus eigener Kraft mit den Herausforderungen des Lebens umgehen zu können. Sie sind ein wichtiger Schutzfaktor vor psychischen Problemen. Wenn man hier früh ansetzt – also schon im Kindergarten – kann man wirklich viel bewirken bzw. verhindern. Aus lernpsychologischer Sicht ist das überaus sinnvoll. Wer selbstwirksam handeln und sich gut regulieren kann, lernt auch besser. Kurz gesagt: Wem es gut geht, der lernt auch gut.

Sozio-emotionales Lernen und die Vermittlung von Wissen lassen sich auf wunderbare Art und Weise verzahnen, und im finnischen Schulsystem wird genau das getan.

Dort sind Sie auf Ihrer Suche fündig geworden?

Nicht nur dort, aber tatsächlich begeistert mich, wie viel Wert in finnischen Schulen darauf gelegt wird, dass Kinder sozio-emotionale Fähigkeiten vermittelt bekommen. Das ist natürlich nur ein Aspekt. Das Lernen findet auch viel stärker fächerübergreifend statt und häufig lernen Kinder in Projekten. Lehrpersonen, Sozialarbeiter:innen und Schulpsycholog:innen arbeiten viel mehr zusammen.Kinder lernen neun Jahre lang zusammen, bevor sie entweder aufs Gymnasium gehen oder eine Ausbildung machen. Noten gibt es entgegen der verbreiteten Annahme, doch im Gegensatz zu uns benoten Lehrpersonen in Finnland häufiger und niederschwelliger. Das nimmt Druck und Angst vor einzelnen Prüfungen.

«In Finnland hat man verinnerlicht, dass die wichtigste Ressource des Landes die Menschen sind.»

Können Sie ein Beispiel für diese Art von Schule machen?

Als ich in Helsinki war, hatten die Schulen gerade eine Art Challenge ausgerufen. Das Ziel: Essensabfälle in den Schulkantinen zu reduzieren. Alle Kinder haben an diesem Projekt teilgenommen und hatten unterschiedliche Aufgaben. Manche wogen die Teller vor und nach dem Essen, andere notierten die Resultate und werteten sie aus. Wieder andere präsentierten die Ergebnisse und gestalteten Plakate.

In diesem Projekt lernten die Kinder so unterschiedliche Dinge wie rechnen, präsentieren und visuell zu kommunizieren. Und nicht zuletzt erlebten sie, dass sie gemeinsam etwas bewirken können. In Zeiten des Klimawandels, in denen viele Jugendliche sich hilflos fühlen, ist diese Erfahrung ein wichtiger Schutz vor Depressionen.

Warum schafft Finnland das und wir hinken gefühlt Jahrzehnte hinterher?

Eines vorweg: Finnland gibt nicht viel mehr für Bildung aus. Die Ausgaben gemessen am BIP fallen nur leicht höher aus als in der Schweiz. In Finnland hat man schlicht verinnerlicht, dass die wichtigste Ressource des Landes die Menschen sind. Es hat mich sehr beeindruckt zu sehen, wie um jedes einzelne Kind gekämpft und alles darangesetzt wird, dass niemand schulisch auf der Strecke bleibt. Zudem orientiert sich die finnische Bildungspolitik nicht an Dogmen, sondern an wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Noch vor 50 Jahren war das Schulsystem in Finnland dem schweizerischen und deutschen sehr ähnlich. Von daher ist Finnland für mich in zweifacher Hinsicht ein Vorbild. Sie machen nicht nur vor, wie Schule im 21. Jahrhundert aussehen sollte, sondern haben auch bewiesen, dass Veränderungen möglich sind.

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